Sucht

Sucht heißt, jeden morgen aufzustehen und sich bewusst dafür zu entschieden, dass man heute nichts verändern will. Ja, das klingt scheiße. „Sucht ist eine Krankheit!“ sagst du jetzt vielleicht. Und dem will ich auf keinen Fall widersprechen. Sucht kann durchaus eine Krankheit werden. Aber bis es eine Körperliche Krankheit wird, dauert es in der Regel eine Weile, und am Anfang ist Sucht immer eins: Kopfsache. Ich möchte mich jetzt nicht Experte auf dem Gebiet nennen, ich war nicht nach vielen Dingen süchtig. Ich war Magersüchtig, ich war Ess-Süchtig, ich war süchtig nach Schmerzen, ich habe geraucht, ich habe getrunken, ich habe Gekifft und eine zu lange Zeit meines Lebens war ich tatsächlich süchtig nach Nasenspray. Zum Glück war davon in meinen Augen nichts eine körperliche Sucht, sondern nur eine Frage der Einstellung. Und das sage ich obwohl ich mit der Flasche Gin im Rucksack zur Schule gefahren bin oder vor dem Unterricht Bong geraucht habe. Ich war süchtig im Kopf. Ich habe jeden Tag aufs neue die Entscheidung getroffen den selben Fehler nochmal zu machen. Es war so schön einfach nichts dagegen zu unternehmen. Also hier ein paar Geschichten. Angefangen hat die Reise mit der Magersucht. Davon los zu kommen war nicht einfach, und hat mich in die Bulimie, die Ess-Brech-Sucht geworfen. Was eigentlich nur eine Essstörung in das andere Extrem ist. Davon los zu kommen war die Hölle. Mich hat mal jemand gefragt, was der schlimmste Schmerz war, den ich je gefühlt habe, der nicht körperlich war. Das ist die Antwort. Das Überwinden der Bulimie. Ich musste nämlich mein Gehirn besiegen. Irgendwo zwischen 8 Mal am Tag Kotzen und einer ganzen Menge Schlafen habe ich mich gefragt „Was könnte ich mit all dieser Zeit machen wenn ich sie nicht in die Bulimie stecken würde? Was könnte ich mit all der Energie machen? Was wird aus meinem Körper, wenn ich so weiter mache? Und sein wir mal ehrlich, seit der Mist begonnen hat habe ich nur zugenommen und es hört nicht auf. Nichts hört auf. Ich will, dass es aufhört.“ Ich hatte solche Gedanken öfter, bis es wirklich Klick machte. Aber es machte Klick. Und ich brauchte einen Schlachtplan. Und der hieß: Gemüse. Meine Psyche will Essen? Soll sie haben. Ich rechnete aus, wie viel Gemüse in 1500 Kalorien passte, nur Gemüse, nichts anderes. Karotten, Aubergiene und Zucchini, Pilze, Tomaten, Salat, Spinat, alles was möglicht viel Volumen und wenig Kalorien hatte, und das aß ich. Das waren Berge an Essen. Mit dem Vorteil: Ich war so satt ich konnte kaum laufen. Jetzt galt es bloß noch, nicht zu erbrechen. Aber ich hatte mein Gehirn ausgetrickst. Denn normal setzte nach dem Hemmungslosen Fressen das schlechte Gewissen ein. „Du wirst fett.“ sagte dann die Stimme in meinem Kopf, doch an diesem Tag konnte sie reden, wie sie wollte, denn von dem, was ich gegessen hatte konnte ich nicht fett werden. Und dennoch gab sich die Stimme in meinem Kopf alle Mühe. Als würde sie um ihr Leben kämpfen schrien meine eigenen Gedanken mich an. Ich zitterte, alles tat mir weh, ich schwitze, ich schrie in mein Kissen und rollte mich in meinem Bett herum bei dem Versuch einfach nicht meinen Gedanken nachzugeben. Nach einer gefühlten Ewigkeit schlief ich ein. Und das zog ich so einige Wochen durch. Das Gefühl innerlich zu zerreißen wurde jedes mal weniger. Die Gedanken leiser. Die positiven Gedanken lauter. Ich nahm neue Lebensmittel in den Plan auf, die Mahlzeiten wurden kleiner und dann kam der erste Tag an dem ich es schaffte, Reste auf dem Teller liegen zu lassen, weil ich satt war. Satt! Ein Gefühl was ich nun wirklich eine Ewigkeit nicht gehabt hatte. Es war vorbei. Ich bin danach noch ein paar mal Rückfällig geworden, aber das schlechte Gewissen es vermasselt zu haben ist so stark geworden, dass es keine Rückfälle mehr gibt. Höchstens einen Gedanken daran, der gleich mit einem Nein verworfen wird. Ich erzähle dir genau diese Geschichte, weil es tatsächlich das Schlimmste Ende einer Sucht war, was ich je hatte. Beim allem anderen habe ich einfach aufgehört. Ja, wirklich. Ich habe einfach aufgehört Alkohol zu kaufen. Es war ein komisches Gefühl, wieder nüchtern zu sein, und das Einschlafen viel mir schwer, aber es war ein Gedanke von „Ich vermisse das Gefühl.“ als ein Gedanke von „Ich brauche das jetzt und es geht nicht anders!“. Und so war es auch beim Rauchen und allem anderen. Ich habe es einfach gelassen, eine Weile mit den üblichen Gedanken gekämpft die sagen „Du könntest ja mal.“ oder „Das würde es grade echt leichter machen.“ aber das Geheimnis ist, dass es eine Lüge ist. Keine Sucht macht das Leben leichter. Und ich bin froh, dass ich heute mit meinen Freunden einfach ein Bier trinken kann oder mal an einem Joint ziehe und das Leben genießen kann, ohne am nächsten Morgen damit weiter machen zu wollen. Der schlimmste Teil einer Sucht ist es immer, die eigenen Gedanken auszutricksen. Warum ich dir das erzähle? Nun, dass Bulimie keine körperliche Abhängigkeit ist, sollte ja klar sein, und dass es bei den meisten Dingen etwas braucht, bis man eine körperliche Abhänghigkeit erreicht hat auch. Es ist also immer eine Frage des Verstandes. Wenn du deine Gedanken meistern und kontrollieren kannst, dann hast du gewonnen. Gib dich niemals etwas hin, weil es anstrengend wäre damit aufzuhören. Änder die Dinge in deinem Leben die dir nicht gut tun. Ob das nun eine Sucht ist, der Kaffee, der Zucker oder die Kippen oder das Feierabend-Bier ohne das du nicht gerne Schlafen gehen willst, frag dich immer, was es dir bringt. Und wenn es mehr „Dagegen“ gibt, als „Dafür“, dann lass es. Schmeiß den Job der dir nicht gut tut, auch wenn dir das Angst macht. Reich die Scheidung ein in der Beziehung die du seit Jahren nicht beenden kannst, auch wenn du nicht weißt was danach kommt. Wenn du dich von Dingen in deinem Leben löst, die dich Zeit kosten, dir aber keine Freude bringen, kannst du Platz machen für neue Dinge, Dinge, die dich glücklich machen, auch wenn der Weg dahin manchmal hart ist. Vermutlich erscheint dir das als ein eigenartiger Kontext, aber eine Sucht ist nicht viel etwas anderes wie eine Gewohnheit, aus der man ausbrechen kann (und ein Schmerz den man darin ertrinkt, aber es gibt immer einen anderen Weg! Glaub mir, ich gehe ihn.). Und man kann aus jeder Gewohnheit die nicht konstruktiv ist ausbrechen. Immer. Wenn dir etwas in deinem Leben nicht gefällt, mach es anders!
Und noch eine Anekdote, was ich daraus gelernt habe. Man kann aus allem etwas lernen. Immer. In der Zeit, in der ich Anorexie hatte, habe ich aufgehört Fleisch zu essen, was super für meinen Körper und die Umwelt ist. In der Zeit in der ich Bulimie hatte habe ich mehr über’s Kochen gelernt als sonst irgendwo. Ich bin erstaunlich gut darin geworden Gemüse zusammen zu werfen und daraus ein Mittagessen zu machen, und im Moment koche ich für eine Gruppe von Menschen die sehr glücklich darüber sind. In der Zeit in der ich viel getrunken habe, habe ich viel über „das Leben von unten“ gelernt. Die andere Seite der Münze zu sehen hat mir viel beigebracht, mir gezeigt wo ich nicht hin will, mir viel über den Schmerz von Menschen beigebracht und über Willenskraft und Heilung. Auch in extrem-Situationen einen klaren Kopf zu bewahren. Beim Kiffen habe ich gelernt, auch mal richtig zu entspannen, ich habe gelernt wie angenehm es sein kann, wenn die Welt sich mal etwas langsamer dreht (Wobei sich meistens die Welt genau so schnell dreht wie vorher, es kommt einem nur langsamer vor, weil man langsamer ist.) Und ich habe viel über das Nein sagen gelernt, und kaum etwas macht dich so Fingerfertig wie das regelmäßige drehen von schönen Joints. Und ich habe gelernt zu improvisieren. Es waren vielleicht alles nicht die besten Wege, und ich würde sicher keinem empfehlen das auch so zu machen, aber falls du in deinem Leben was blödes angstellt hast, grade dabei bist oder das noch passiert, dann denk daran dass man aus jeder Scheiße immer etwas lernen kann. Immer. Sido hat mal gesagt „An der Scheiße kannst du eingehen oder wachsen.“. Wachse daran. Nimm aus allem das positive mit. Im schlimmsten Fall weißt du jetzt, wie es nicht geht oder wie du es auf keinen Fall machen willst. Es gibt keine „guten und schlechten Erfahungen.“ so lange du daraus lernst ist es immer gut. Und ich persönlich denke ja, dass man aus den schlechten Erfahungen meistens mehr lernt.